Sollten Anleger der Börsenweisheit „Sell in May and go away“ in diesem Jahr noch folgen, nachdem der DAX Mitte Mai ein neues Allzeithoch markiert hat? Was spricht für und was spricht gegen den Verkauf von Aktien im Wonnemonat Mai?
Börsenregel „Sell in May“ für Aktien erfolgreich?
Die Sommermonate sind an der Börse statistisch gesehen die schlechteren Monate. Wer sich im Mai von der Börse verabschiedet und erst im Herbst wieder einsteigt, erhält häufig ein relativ besseres Risiko-Rendite-Verhältnis. Das zumindest besagt die alte und viel zitierte Börsenweisheit. „Sell in May and go away, but remember to come back in September“. Doch bringt Anlegern diese Börsenregel wirklich die erhoffte Mehrrendite?
Der Investor ist gut beraten, die Logik dieser Börsenweisheit kritisch zu hinterfragen. Objektiv betrachtet, ist die Kursentwicklung in diesem Zeitraum eher zufällig. Wer glaubt schon daran, dass sich Politiker, Krisen und Notenbank-Funktionäre, strikt nach dem Kalender richten?
Die reine Statistik zeigt jedoch, dass die alte Mai-Regel durchaus ihre Gültigkeit hat. Seit 1950 lässt sich beispielsweise für den S&P500 eine durchschnittlich schwächere Börsenphase zwischen Mai und Oktober gegenüber der Zeitspanne November bis April von etwa fünf Prozentpunkten errechnen.
Was sagt die Vergangenheit zu Aktien? Warum ausgerechnet der Mai?
Es gab Jahre, in welchen sich die „Sell in May-Regel“ absolut bewährt hat. Im Jahr 2002 beispielsweise ging es deutlich nach unten. Auslöser waren Rezessionsängste in den USA. 2011 war es der Streit über die US-Schuldenobergrenze, der die Kurse zu Beginn des Sommers brutal abstürzen ließ. Im Jahr 2014 verunsicherte erst EZB-Präsident Mario Draghi die Märkte, ehe China mit mäßigen Konjunkturdaten den Börsensommer verhagelte. Von einer beständigen negativen Kursentwicklung kann aber nicht die Rede sein. So gab es in den Jahren 2015 und 2020 beispielsweise eine sehr erfreuliche Kursentwicklung während der heißen Monate. Im Sommer 2015 wurde die Griechenland-Krise gelöst, was dem DAX anschließend ein Plus von 20 Prozent bescherte. Im Jahr 2020 nahm die Aktienmarktrally im Mai des Jahres erst richtig Fahrt auf, als die massiven staatlichen und geldpolitischen Corona-Hilfspakete ihre Wirkung ausspielten. Wer in diesen Wochen am Seitenrand stand, verpasste viel Rendite.
Der Aktien-Sommer wird heiß
In diesem Sommer müssen Anleger wiedermal verstärkt auf die Notenbanker achten. Nachdem die Währungshüter die Leitzinsen in den letzten knapp 18 Monaten aufgrund der hohen Inflation im Rekordtempo anhoben, wird zu beobachten sein, ob der Zinserhöhungszyklus vorerst zu Ende geht oder die Leitzinsen weiter angehoben werden. Die Notenbanker sitzen in der Zwickmühle. In diesem inflationären Umfeld müssten sie laut Lehrbuch die Zinsen weiter anheben oder zumindest konstant hochhalten. Sie laufen dabei jedoch Gefahr, die ohnehin schon schwächelnde Wirtschaft komplett abzuwürgen. Die Zinsbelastung wird für Staaten, Unternehmen und Privatpersonen immer unerträglicher.
Zusätzlich deutet die Zinsstrukturkurve wieder auf eine Rezession hin. In normalen Zeiten müssen Kreditnehmer für längere Laufzeiten mehr Zinsen bieten, da der Gläubiger länger auf sein Geld verzichten muss. Dies ist aktuell umgekehrt. Einer invertierten Zinsstrukturkurve ging bisher in 100(!) Prozent aller Fälle mittelfristig eine Rezession und einen Börsencrash voraus.
Quelle: Infront
Hinzu kommen geopolitische Krisen, wie der Krieg in der Ukraine und die Spannungen zwischen China und Taiwan. Hier kann es in den Sommermonaten zur Eskalation kommen.
Die letzten Monate sind an den Börsen gut gelaufen. So konnte der DAX seit Jahresbeginn um 16 Prozent zulegen. Dies dürfte zahlreiche Anleger auch dazu veranlassen, Gewinne zu realisieren und die Urlaubszeit mit einer hohen Cash-Position zu überbrücken. Dies dürfte die Aktienkurse unter Druck bringen.
Was sollten Anleger im Mai noch tun?
Wir dürfen gespannt sein, ob diese Börsenregel dieses Jahr wieder zieht. Es wird vor allem auf die oben genannten Faktoren ankommen. Unserer Meinung nach sollten wir uns in den nächsten Wochen und Monaten eher auf höhere Temperaturen einstellen als auf steigende Aktienkurse. Wer trotzdem investiert bleibt, sollte sein Depot jedenfalls wetterfest machen. Aber es werden sich demnächst auch neue Chancen bieten. Eine deutlichere Korrektur kann zum Auf- oder Ausbau von Aktienpositionen genutzt werden. Volles Risiko ist unserer Meinung nach aktuell jedoch fehl am Platz.